Ich schrieb hier zwar Aktivismus, meinte aber Aktionismus. Mein Fehler.
Ein Internetprovider wie die Telekom hat ein eigenes Netz, mit dem die ganzen DSL- und Mobilfunk-Kunden zusammengeschlossen werden. Die Struktur des Netzes ist eine Art Baum. An den Ästen hängen DSL-Kunden, und je weiter zum Kern man kommt, desto dicker werden die Leitungen.
An mehreren Stellen gibt es Übergangspunkte zwischen dem Telekom-Netz und anderen Netzen. Sie können sich das wie Stromleitungen vorstellen. An den Einspeisepunkten kommen Daten von außen (von Google, Amazon und dem Rest des Internets) rein. Diese Einspeisepunkte sind überprovisioniert, d.h. wenn alle Telekom-Kunden gleichzeitig ihre volle Bandbreite nutzen wollten, wäre nicht genug Außenanbindung vorhanden.
Das führte dazu, dass Youtube ruckelte oder ganz stehenbliebt. Diese Situation war für alle Seiten nachteilig. Youtube verkauft keine Werbung, die Telekom sieht wie ein schlechter Internetprovider aus, und die Telekom-Kunden sind schlecht gelaunt, weil Youtube ruckelt. Daher hat man sich zusammengesetzt und eine naheliegende Lösung gefunden. Youtube stellt bei der Telekom ein paar Schränke mit Festplatten voller Videos hin. Die Telekom schließt das direkt (ohne über einen der großen Internet-Knotenpunkte zu gehen) an ihr Netz an, und dann ruckelt da nichts mehr. Die genauen Details dieser Deals sind nicht öffentlich, aber das läuft im Allgemeinen so, dass Google oder Netflix für den Schrank, die Festplatten und die Bespielung des Schranks mit aktuellem Content zahlt, und der Internetprovider zahlt für den Rechenzentrumsplatz, Strom und Kühlung.
Diese Schränke sind für zukünftiges Wachstum dimensioniert. Da sind mehr Netzwerk-Buchsen dran, als aktuell benötigt werden. Wenn der Provider also in eine Corona-Pandemie reinläuft und plötzlich mehr Kunden Netflix gucken wollen, dann kann der einfach ein weiteres Kabel anschließen und die Kuh ist vom Eis.
Allerdings könnte es natürlich auch Kapazitätsengpässe an den internen Trassen geben, wie es ja auch im Stromnetz Engpässe zwischen Nord- und Süddeutschland gibt. Leider sind die Details über die internen Datenkapazitäten im Gegensatz zum Stromnetz nicht öffentlich, und die Internetprovider reden da auch nicht gerne drüber. Wenn sie darüber reden, dann mit Durchhalteparolen, wie aktuell die Telekom, die lauthals beteuert, dass sie genug Kapazität vorhält, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
Aber auch da muss man sich keine Sorgen machen, denn das Internet ist selbstregulierend. Das war die zentrale Innovation von TCP/IP, dem Basisprotokoll des Internets. Die Datenübertragung ist paketbasiert, d.h. da werden kleine (Standard ist bis zu 1500 Bytes) Datenhaufen durch die Gegend geworfen. Wenn das Netz überlastet ist, dann kommen ein paar davon nicht an. Das merkt der Empfänger natürlich sofort und fordert dann eine Neuübertragung an. Der Sender merkt dann, dass er zu schnell sendet, und sendet langsamer.
Das kann man sich auch schnell selbst klarmachen, denn wenn das nicht so wäre, ginge Youtube ja nur in einer Netzkonfiguration und wäre z.B. über Mobilfunk unmöglich. Youtube passt sich den Verhältnissen an, wie auch alle anderen Dienste.
Youtube und Netflix passen sich sogar besser an, denn bei Videostreaming hält die Sendeseite die Inhalte in verschiedenen Qualitätsstufen vor. Wenn das Abspielgerät merkt, dass es immer wieder pausieren und auf Neutransmissionen warten muss, dann schaltet es automatisch auf eine kleinere Qualitätsstufe runter. Das passiert vollautomatisch, dafür muss niemand irgendwas tun.
Wenn jetzt also bei der Telekom das Netz überlastet wäre, mal als Gedankenexperiment, und die in ihrer Netzwerküberwachung feststellen, dass Youtube 90% des Traffics ausmacht, dann könnten die einfach eines der Kabel zwischen ihrem Netz und Youtube ziehen. Die Abspielgeräte würden dann weniger Daten empfangen, einige würden sich runterregeln, und alles wäre wieder gut.
Es gab zu keinem Zeitpunkt einen Anlass dafür, dass Youtube oder Netflix irgendwas einstellen muss. Das war sinnloser Aktivismus.
Stellen Sie sich das vor wie einen Gartenschlauch. Der Gartenschlauch kann nicht beurteilen, wie es hinter seinem Ende weitergeht. Der kann nur messen, ob das Wasser mit voller Wucht rausströmt oder nicht.
Hier hat ein EU-Kommissar eine PR-Aktion gemacht, damit die Reaktion der EU nicht ganz so hilflos aussieht, und Netflix hat mitgemacht, weil die keine Lust hatten, in der Presse als der Bösewicht beschimpft zu werden, der unser ganzes Internet verstopft.
Ich habe ja oben erklärt, wie sich die Dienste selber drosseln, wenn sie merken, dass das Netz überlastet ist. Wenn Sie also an irgendeiner Stelle etwas einsparen, dann fährt jemand anderes automatisch seine Selbstdrosselung zurück, und sie haben unter dem Strich nichts erreicht.
Daher ist meines Erachtens der bessere Ansatz, den Ausbau von Breitband-Internet mit Anreizen oder zur Not auch gesetzlichen Vorgaben zu erzwingen. Betriebswirtschaftlich wird die Anfangsinvestition für die Anbindung eines kleinen Dorfes in Brandenburg nie attraktiv genug aussehen, dass die Telekom das freiwillig tut.
Leider sind die bisherigen gesetzlichen Regelungen kontraproduktiv. Die sehen vor, dass wenn einer den Boden aufstemmt, dass er dann auch alle anderen mit ihre Leitungen verlegen lassen muss. Das setzt die Anreize genau falsch herum. Wieso sollte ich als Provider hier das Aufstemmen des Bodens bezahlen, wenn ich auch warten kann, bis für jemand anderen der Leidensdruck zu stark wird? Ich weiß ja, dass mir niemand anderes Konkurrenz machen wird, denn auf den ersten Konkurrenten warte ich ja gerade.
Kurz gesagt: Entlastung funktioniert nicht. Wir brauchen Ausbau.
Übrigens ist die Telekom tatsächlich bisher nicht dadurch aufgefallen, dass ihre internen Leitungen unterdimensioniert waren. Die Telekom ist bisher dadurch aufgefallen, dass ihre Leitungen nach außen unterdimensioniert waren. Das stellte sich nämlich als gutes Geschäftsmodell heraus. Anbieter von Internetdiensten sahen sich gezwungen, zur besseren Anbindungen der vielen T-Online-Kunden bei der Telekom Server ins Netz zu stellen, was sich die Telekom traditionell immer fürstlich bezahlen ließ.
Daher hat Youtube jahrelang geruckelt bei der Telekom. Google war gerne bereit, einen Schrank zu bezahlen, aber wollte nicht auch noch die Betriebskosten übernehmen müssen und für den Netzwerkverkehr zahlen.
Insofern halte ich das für glaubwürdig, wenn die Telekom sagt, sie braucht keine Youtube-Drossel, und habe intern genug Netzkapazitäten verfügbar. Die Frage bei denen ist eher, ob sie auch an den Rest des Internets ausreichend gut angebunden sind. Wenn jetzt plötzlich alle Leute Homeoffice mit Videokonferenzsystemen machen, dann strapaziert das in erster Linie die Außenanbindung der Telekom, und lässt sich mit einem Serverschrank ala Youtube/Netflix nicht abfedern.
Ich sehe daher durchaus Handlungsbedarf für die Politik. Aber sie sollte nicht darüber nachdenken, wie man mehr Dienste drosseln kann, sondern wie man die existierenden Blockaden auflösen kann. Und wie man Anreize so setzt, dass Firmen mehr Breitbandleitungen aufs Land legen, anstatt darauf zu warten, dass jemand anderes den Spatenstich bezahlt.